El Chaltén

Tag 5 - Busfahrt nach El Chaltén

Der Tag beginnt mit einem schönen Frühstück. Die Taschen sind gepackt und wir haben noch Zeit bis zu unserer Abfahrt nach El Chaltén. Vom Busbahnhof aus soll der Bus von der Firma Las Lengas nach El Chaltén fahren – so der Plan. Erstmal tut sich nichts, und eine Auskunft erhalten wir auch nicht. Also holen wir uns einen Kaffee und warten auf das, was folgen wird. Nach 2 Stunden kommt endlich Bewegung in die Sache. Ein Transporter lädt uns zum Einsteigen ein. HUUUUH, so wie in Horrorfilmen… und man fand sie nie wieder. Nein, wir waren nicht die Einzigen, die etwas irritiert in den Transporter stiegen. Irgendwie zwischen Rucksäcken und Taschen finden wir einen Platz zum Sitzen, daran hatte ich bei der Buchung nicht gedacht. Als wir dann halbwegs bequem sitzen, hält der Bus nach 20 Minuten an, der Fahrer entlädt wortlos unsere Sachen und bedeutet uns auszusteigen. Ach was, hier! Schön am Straßenrand mit unserem Gepäck in der endlosen Prärie zu stehen – gut, dass es keine 40 Grad sind. Unser Fahrer wirft uns noch ein paar schnelle und undeutliche Sätze zu, steigt ins Auto, lässt den Motor an und ruft uns noch ein "adios" aus dem Fenster zu – und weg ist er.

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Alle schauen sich etwas verdutzt an, und das Ehepaar aus Buenos Aires erklärt uns dann die Situation. Ein Bus wird kommen, der uns aufnimmt und zum Ziel bringt. Okay, "gleich" ist außerhalb Deutschlands (mit Ausnahme der DB) immer relativ, also stellen wir uns auf eine längere Wartezeit ein. Hätte ich den Kaffee doch nicht getrunken, denke ich, und schon säuselt mir Sabine ins Ohr: "Eine Toilette wäre jetzt toll." Schlechtes Timing, da hier weit und breit kein Busch zu sehen ist. Doch plötzlich taucht am Horizont tatsächlich ein Bus auf – unser Bus. Einige Reisende sitzen schon drinnen, und wir finden noch einen schönen Platz am Fenster. Nur das Toilettenproblem ist leider nicht gelöst. Nach etwa einer Stunde, mitten in der Pampa, erreichen wir eine Raststätte mit Restaurant und Zimmern. Gott sei Dank, endlich! Es wurde schon eng. Angeblich sollen hier vor über 100 Jahren auch Butch Cassidy und Sundance Kid vorbeigekommen sein – an der Grenze zu Chile haben sie sich wohl einige Jahre versteckt. (34) (37) (35) (36)

Nach insgesamt 3 Stunden erreichen wir den Busbahnhof von El Chaltén. Der Ort ist nicht sehr groß, und wir können zu Fuß zu unserer Unterkunft gehen. Unsere Airbnb-Unterkunft, das Aires del Fitz Cabanas, liegt in einem Teil des Ortes, der noch etwas an den Wilden Westen erinnert. Die recht neue Unterkunft vermietet 2-3 Zimmer, sie sind sauber, gemütlich, warm und verfügen über eine Küche. ( 39)   ( 41) (38) (40)

Der Ort selbst ist recht uninteressant. Die Touristen, die hierherkommen, kommen zum Wandern – besonders zum berühmten Fitz Roy-Massiv. Auch wir sind deswegen hier, um eine schöne und anspruchsvolle Wanderung zu starten. Man traut es dem Ort zunächst nicht zu, aber es gibt hier eine touristische Straße mit Hotels, B&Bs und Restaurants – es erinnert etwas an Tirol.

Eine anspruchsvolle Wanderung ist unser Stichwort – schaffen wir das? Nicht, dass wir noch nie gewandert sind – wir waren in Österreich, der Schweiz und den USA wandern –, aber das hier wird etwas ganz Großes. Also laufen wir zum Touristinformationszentrum, wo es auch Informationen über die Wanderungen gibt. Wir treffen einen jungen Mann und fragen ihn nach den Schwierigkeitsgraden der Wege. Natürlich wollen wir den Laguna de los Tres erwandern. Seine Ansage an uns: "Ja, klar, das müsst ihr unbedingt machen. Es ist mega schön, und den einen Kilometer hinauf zum Lago, der am anstrengendsten ist, müsst ihr ja nicht machen." Gut, das ist geklärt. Aber morgen ist erst einmal ein anderer Weg dran, sozusagen zum Einlaufen. Wir drehen noch eine Runde auf dem Hausberg, gehen dann in den Supermarkt und kochen abends Spaghetti mit Tomatensoße.

Tag 6 - Sendero Laguna Torre

Um 7:30 Uhr starten wir bei sonnigem und kühlem Wetter. Zu Beginn steigt der Weg stetig an, ab dem Aussichtspunkt wird es leichter. Immer wieder haben wir einen schönen Blick auf das Fitz Roy-Massiv. Wir laufen durch Wälder, kommen an blühenden Wiesen, kleinen Wäldchen und Geröll vorbei. Der Weg ist schmal und gut ausgeschildert, es sind recht viele Menschen unterwegs – einsam ist es hier nicht gerade. Viel sprechen tun wir nicht, wir genießen die Aussicht, und jeder hängt seinen Gedanken nach. Das ist das Schöne am Wandern – die Ruhe und einfach mal den Kopf freimachen. Nichts ist auf einer Wanderung schlimmer als Wandergruppen, die nur am Quatschen sind – zum Plaudern geht man ins Café. Auf einer Blumenwiese setzen wir uns auf unsere Jacken, essen unsere Brote und lassen uns von den Sonnenstrahlen wärmen. (42) (43) (44) (46)

Auf dem weiteren Weg ziehen Wolken auf, und der eisige Wind nimmt merklich zu. Endlich erreichen wir den See, doch die Sonne ist leider ganz verschwunden, und das Fitz Roy-Massiv auch. Alles ist in Wolken gehüllt, selbst der See wirkt trostlos und langweilig. Macht nichts, die Wanderung war trotzdem schön. Zurück geht es auf demselben Weg. Auf den letzten Kilometern bin ich schon in Gedanken beim Abendessen oder einem Törtchen. Ein Bier wäre nett, oder besser ein Glas Wein. Ach schau, die Sonne kommt wieder raus. Nach 6 Stunden sind wir zurück und können noch einige Sonnenstrahlen im Liegestuhl genießen. Um 18:00 Uhr werden wir jedoch von einem heftigen Sturm und Schneeregen überrascht. Vom Fenster aus gesehen, im warmen Stübchen, sieht das ganz grandios aus. Aber was ist mit morgen? Die Sorge um das Wetter beschäftigt uns den ganzen Abend. Wir können es nicht ändern, also lassen wir es auf uns zukommen.

Tag 7 - Auf zum Laguna de los Tres

Auf geht's! Der Tag beginnt sonnig und mild, keine Spur mehr von dunklen Wolken. Der Rucksack ist gepackt, und um 8:00 Uhr sind wir unterwegs. Der Weg ist hin und zurück mit etwa 22 Kilometern angegeben und insgesamt 900 Höhenmetern – für uns schon eine große Sache. Am Anfang geht es moderat nach oben, die Luft ist frisch und klar. Unten am Flussufer sehen wir Pferde grasen. Wir laufen durch Wälder, kommen an Wiesen und Sümpfen vorbei und genießen jede Sicht auf das Fitz Roy-Massiv.(47) (48) (49) (50)

Das Erlebnis wird etwas getrübt durch zahlreiche Wanderer, mit denen wir laufen. Ja, damit muss man hier rechnen – man ist nicht alleine. Nach etwa 10 Kilometern erreichen wir den Punkt, an dem man sich entscheidet: Geht man weiter nach oben oder zurück? Keine Frage, es geht nach oben. Ein 1 Kilometer langer Wanderweg führt 450 Meter nach oben. Ein Weg, der aus Geröll und Felsen besteht, der steil ansteigt und mit zunehmenden Metern nicht leichter wird. Wer hier nicht körperlich fit ist, kann es nur mit reiner Willenskraft schaffen.(51)

 Was mir geholfen hat, war ein älterer Herr, den ich unterwegs überholte. Ich sah ihn schon eine Weile vor mir laufen. Er war in Begleitung von zwei jungen Männern, die ihm Mut zusprachen und nicht von seiner Seite wichen. Als ich direkt hinter ihnen lief und schon fast aufgeben wollte, dachte ich: "Wenn dieser ältere Mann das schafft, dann schaffst du das auch, verdammt!" Und der Knoten platzte. An Aufgeben war jetzt nicht mehr zu denken, aber leichter wurde es dadurch nicht. Am Wegesrand saßen immer wieder Menschen, die mit falschen Schuhen und Vorstellungen den Weg angetreten haben und nicht mehr konnten. Wenn mir Leute von oben entgegenkamen, fragte ich meist, wie lange es noch dauert, und bekam immer die gleiche Antwort: "Nicht mehr lange." Ha!

Und dann habe ich es geschafft! Um mich herum nur glückliche, erschöpfte Menschen. Die meisten haben sich hier hochgequält, in ihren Gesichtern kann man Freude und Stolz erkennen. Nach einer Stunde trete ich den Rückweg an und treffe wieder auf den älteren Herrn. Auch er hat es geschafft. Spontan gehe ich zu ihm und gratuliere ihm zu seiner Leistung. Er erzählt mir, dass er früher hier in der Gegend Bergführer war und seine Enkel, beide an seiner Seite, das auch in der Hauptsaison machen. Es war ein Traum von ihm, noch einmal hier hochzukommen, und er hat es geschafft.(52) (53) (54)

Wer denkt, der Rückweg sei jetzt leichter, der irrt. Die Beine sind müde und wackelig, und man kämpft sich über Steine und Schotter nach unten. Immer bemüht, nicht auszurutschen, aber meine Wanderstiefel sind top, und an manchen heiklen Stellen rutsche ich mit dem Po über die Steine. Mit Wanderstöcken ist man hier klar im Vorteil. Hurra, unten angekommen! Nun noch 10 Kilometer zurück in den Ort – ein Klacks. Meine Gedanken kreisen um ein deftiges Essen und ein Glas Bier oder Wein. Schön, aber das muss noch warten – die Gedanken halten mich aufrecht. Nach 9 Stunden sind wir zurück, fix und fertig! Was für ein Erlebnis, eine Wanderung, die uns psychisch und physisch ordentlich gefordert hat. Aber jeder Schritt war es wert. Am Abend gönnen wir uns ein oder zwei Biere und ein schönes, deftiges Essen. Wir haben es uns verdient. Dann fallen wir komaartig in den Schlaf, und der Wecker holt uns morgens um 6:00 Uhr zurück.